Schuld war nicht Corona – Kommentar wMSB für BWK 6-7/2020 – Dr. Michał Sobótka
„Die allermeisten Versorger kümmern sich erst einmal nur um die Pflicht.“
Noch Anfang letzten Jahres waren viele Marktbeobachter – darunter auch ich selbst – davon überzeugt, dass die Zahl der wettbewerblichen Messstellen, die der grundzuständigen schnell übersteigen werde. Schließlich, so der Gedanke, bieten die intelligenten Messsysteme endlich einen sicheren und standardisierten Kommunikationskanal zum Kunden. Und die Chance, diesen Zugang möglichst selbst zu besetzen, sich damit neue Vertriebsgebiete mit wirtschaftlich besonders attraktiven Zählpunkten und damit potenziellen Neukunden zu sichern, würden sich viele Unternehmen nicht entgehen lassen.
Heute ist diese Erwartung verflogen – und daran ist nicht Corona schuld, sondern im Wesentlichen ein Grund: Es mangelt an konkreten kundenzentrierten Produkten, die eine Entwicklung des Marktes insgesamt ermöglichen würden. Beim wMSB-Geschäft dreht sich alles um den Nutzen auf Kundenseite, das aktuelle intelligente Messsystem mit den wenigen Tarifanwendungsfällen ist jedoch wie ein Smartphone mit Taschenrechner und Notizbuch aber ohne Appstore. Ideen für Mehrwertdienste auf Basis der vom BMWi nun angestrebten Fortentwicklung der Gateway-Technologie gibt es zwar in der Branche genug, aber die technischen Standards für eine interoperable Umsetzung werden erst schrittweise im Rahmen des laufenden Task-Force-Prozesses erarbeitet. Selbst der fürs Mehrspartenmetering essenzielle Betrieb von wireless-Zählern am SMGW mit Stundenwerten ist noch nicht mal zugelassen.
Potenzielle wMSB-Anbieter stehen daher weiterhin vor unsicheren Absatzzahlen bei sicheren sprungfixen Kosten bei, insbesondere für die IT. Zur erfolgreichen Positionierung und Skalierung als wettbewerblicher Messstellenbetreiber (wMSB) wird eine Software-Plattform benötigt, mit der die Prozesse möglichst umfänglich und automatisiert abgebildet werden können. Weder die zukünftig verbauten Mengen an Messsystemen noch der benötigte Leistungsumfang, der softwaretechnisch zu unterstützen wäre, kann aktuell aber seriös vorausgesagt werden. Daher hält sich das Angebot an Standardsoftware hierfür noch sehr in Grenzen. Das bedeutet: Ein wMSB muss die entsprechenden SW-Entwicklungskosten (oder prozessuale Mehraufwände) beim Aufbau eines Business Case berücksichtigen.
Dazu kommt die Verfügbarkeit der Monteure. Kann man in seinem eigenen Stammgebiet vielleicht noch auf assoziierte Monteure oder lokale Handwerksbetrieb zurückgreifen, ist dies bei einem bundesweiten Angebot nicht mehr möglich. Die Stückkosten für Installation und Entstörung werden also anfänglich deutlich höher – und nicht vergleichbar mit den Kosten aus dem gMSB-Umfeld sein. Erst wenn die Nachfrage bei den Kunden nach wMSB-Leistungen anzieht und sich verstetigt, wird man auch hier Skaleneffekte realisieren können.
Im Versorgerumfeld kümmern sich die allermeisten Unternehmen deswegen nun erst einmal nur um die Pflicht, sprich: den Mindest-Rollout der iMsys mit den schon heute spezifizierten und umgesetzten Anwendungsfällen als gMSB. Und hier liegt auch ein weiteres Dilemma: bei vielen Versorgern sind die Kapazitäten für den Aufbau des wMSB-Geschäfts identisch mit den Kapazitäten, die sich um den Pflichtrollout kümmern. Aufgrund der technologisch verzögerten Entwicklung der Geräte und deren Verfügbarkeit ist das wMSB-Thema weiter nach hinten gerückt. In der Folge wollen sich zwar viele mit dem Thema beschäftigen, tun es aber aktuell noch gar nicht.
Wer im wettbewerblichen Messtellenbetrieb erfolgreich werden will, braucht Mut an Experimenten und einen langen Atem. Als eines der ersten Stadtwerke in Deutschland hat die Kölner RheinEnergie deswegen gegen den beschriebenen Trend im Frühjahr ein wettbewerbliches Produktangebot auf Basis intelligenter Messsysteme für bundesweit vertretene Geschäftskunden aufgelegt, wir bei GWAdriga übernehmen dabei die Gateway-Management und das Messdaten-Management. Zum Angebot gehören neben dem intelligenten Messstellenbetrieb auch ein Energiemanagement-Portal nach DIN50001, in dem die Kunden Standortanalysen und -vergleiche durchführen können. Zudem können die Energiedaten auf Wunsch per Standardschnittstelle in die Kundensysteme geliefert werden.
Weitere Impulse zum Aufbau des wMSB werden demnächst sicher auch aus der Wohnungswirtschaft kommen, denn kombiniert mit dem Mehrsparten-Metering wird für diese Branche der Einstieg in neue Geschäftsfelder wie Mieterstrom oder Eigenversorgung deutlich einfacher. Zudem können sie sich damit auch auf die kommende Option zum Auswahlrecht des Anschlussnehmers vorbereiten. Im Windschatten des Pflichtrollouts werden hier in den nächsten zwei bis drei Jahren sicher mehr Unternehmenskooperationen und konkrete Umsetzungsprojekte zu sehen sein.
Fazit:
Neben dem Unternehmergeist der beteiligten EVU-Akteure bedarf es klar weiterer ordnungspolitischer Planungssicherheit und Anreize, um das intelligente Messsystem wettbewerblich in die Fläche zu bringen.